Ostalgie – schön oder gefährlich?

Ostalgie – schön oder gefährlich?

Gesicherte Arbeitsplätze, gesicherte Lebensmittelversorgung und gesicherter Wohnraum. Es geht nicht um Utopia, sondern um die DDR. Während etliche Leute am 9. November den Mauerfall feiern, feiern Menschen mit einer Neigung zu Ostalgie ganzjährig die DDR. Nur ein Anflug von Nostalgie oder doch mehr?

Ostalgie – schön oder gefährlich?

Für die meisten Westdeutschen, die nach 1989 geboren sind, gibt es wenig bis keine Berührungspunkte mit der ehemaligen DDR. Ein paar Unterrichtsstunden in der Schule prägen die Vorstellungen. Für viele hat sich das Bild eines undemokratischen Überwachungsstaats ins Gedächtnis eingebrannt. Nicht alle Deutschen teilen diese Meinung. Vor allem im Osten gibt es einen Hang zur Ostalgie, wie die Konrad Adenauer-Stiftung auf ihrer Website feststellt.

Vom Stasi-Staat zum sozialen Paradies

Menschen mit einem Hang zur Ostalgie schwärmen von Vollbeschäftigung, niedrigen Mieten und einem hohen Lebensstandard in der ehemaligen DDR. Auf der anderen Seite bemerkt die Konrad Adenauer-Stiftung, dass die DDR Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in gefährlichem Maße vermissen ließ. Der Imagewandel vom „Stasi-Staat“ zu einer „Art sozialem Paradies“ sei gefährlich und unwahr. Viele der Dinge, die in der DDR als gesetzt und selbstverständlich galten, werden heute offenbar von etlichen Menschen schmerzlich vermisst.

Arbeit für Alle!

Das Recht auf Arbeit zum Beispiel. In der DDR wurde dafür gesorgt, dass nahezu jede*r einer Arbeit nachgehen konnte. Gab es zu wenig Arbeitsplätze, so wurden vom Staat welche geschaffen. Die Folge waren zu viele Arbeiter*innen für zu wenig Arbeit. Nach dem Zerfall der DDR wurden viele dieser überflüssigen Stellen gestrichen. Damit stieg die Zahl der Arbeitslosen sprunghaft an. Noch heute wirkt sich das auf das ostdeutsche Rentenniveau aus. Im Gegensatz zu damals ist heute die Gefahr der Arbeitslosigkeit für viele Menschen allgegenwärtig. Sozialer Abstieg und finanzielle Not sind die bitteren Nebenwirkungen. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass sich viele Menschen nach einem Recht auf Arbeit sehnen, das ihre finanzielle und soziale Basis sichert.

Brot und Wohnraum für das Volk

Der sozialistische Staat war außerdem darum bemüht, dass Grundnahrungsmittel für alle erschwinglich waren. Staatliche Subventionierung von Lebensmitteln sorgte dafür, dass niemand hungern musste. Dafür waren nicht überlebenswichtige Konsumgüter rar und teuer. So kam es, dass BRD-Bürger*innen ihren Freunden und Verwandten in der DDR Tropenfrüchte und Süßigkeiten schickten.

Zum Thema Mieten: Während 1990 der typische DDR-Arbeiterhaushalt drei Prozent des Nettoeinkommens für die Miete aufbringen musste, ist heute das Zehnfache üblich. Allerdings lag die Wartezeit für eine modernere oder größere Wohnung oftmals bei mehreren Jahren.

Eine Hand wäscht die andere

Ein Arbeitsplatz und Grundversorgung mit Nahrung und Wohnraum sind nun grundsätzlich positive Einrichtungen. Bei genauem Hinsehen werden aber auch hier Schattenseiten deutlich. Vieles hing von der Gunst des Staates ab. Sei es der berufliche Werdegang, der Wohnraum oder der Bildungsweg. Wer vorwärts kommen wollte, musste dem System ein treuer Diener sein. Und die DDR hatte ein wachsames Auge auf ihre Bürgerinnen und Bürger. Daher war es einfach und üblich, nicht systemkonforme Bürger*innen in fast allen Lebensbereichen einzuschränken. Wer sich hingegen besonders fleißig oder lautstark für das Wohlergehen des Staates einsetzte, wurde belohnt.

Frisches Brot für die Säue

Die politische Struktur der DDR wurde vom Führungsmonopol der kommunistischen Partei geprägt. Zentrale Elemente eines Rechtsstaates fehlten ebenso wie Presse- und Meinungsfreiheit. Zwar war die Grundversorgung der Bürger gewährleistet, darüber hinaus war die Wirtschaft allerdings schwach. Versorgungsschwierigkeiten und lange Schlangen vor Geschäften gehörten zum Alltag. Staatlich subventionierte Lebensmittel wurden dagegen oft verschwendet. So war es nicht ungewöhnlich Brot an Tiere zu verfüttern, weil es billiger war als Tierfutter.

Die gute alte Zeit

Die DDR war demnach kein Staat, den man sich zurückwünschen sollte. Offensichtlich ist der Blick auf die DDR bei Etlichen verklärt. Das liegt in der Natur von Nostalgie. Vergangene Ereignisse werden ständig neu umgeschichtet und bewertet. Da der Mensch nach einem möglichst sinnhaftem und schönem Leben strebt, neigt er dazu Vergangenes von Jahr zu Jahr etwas positiver zu bewerten, damit die eigene Biografie diesem Anspruch gerecht wird.

Blick in die Zukunft

Ostalgie ist aber auch Ausdruck für das, was sich die Menschen gegenwärtig wünschen. Es ist in unserer Wohlstandsgesellschaft alarmierend, dass viele sich nach notwendigen Sicherheiten wie Arbeitsplatz und Wohnraum sehnen. Daher sollte man Ostalgie auch nicht als Unsinn abtun, wie die Konrad Adenauer Stiftung das tut. Stattdessen bräuchte es mehr Ansätze, wie etwa den der Initiative „Wir sind der Osten – Wir gestalten die Zukunft“. Die Organisation bietet Menschen aus Ostdeutschland eine Plattform, um ihre Zukunftsvisionen mit anderen zu teilen. Ob Ostalgie nun schön oder schaurig ist, darüber lässt sich streiten. Die Zukunft miteinander zu planen und zu gestalten, heißt aber den Blick nicht mehr in die Vergangenheit sondern auf das Jetzt und in die Zukunft zu richten.

Quellen:

(1) Konrad-Adenauer-Stiftung: DDR – Mythos und Wirklichkeit
(2) Initiative “Wir sind der Osten”
(3) Interview mit Historiker Stefan Wolle: “Diese heutige Meckerstimmung ist ein DDR-Relikt”

► Alle Beiträge zur Themenwoche 30 Jahre Mauerfall

Autor und Foto: Jakob Steiner
Veröffentlicht am 13. November 2019

Empfohlene Artikel